21
Feb
2022
Sturmflut an der Nordseeküste und in Hamburg am 16. Februar 1962
Eine Sturmflutkatastrophe von seit Jahrhunderten nicht mehr gesehenem Ausmaß suchte in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 die Freie und Hansestadt Hamburg heim und richtete auch an den Küsten Niedersachsens, Schleswig-Holsteins und in der Hansestadt Bremen schwere Schäden an und bedrohte Menschen und Tiere.
Ein Orkan mit Windgeschwindigkeiten bis zu 120 km/h trieb von Südwesten gewaltige Wassermassen in die Nordsee und drückte diese auf die deutsche Küste. Die größte Fluthöhe lag bei mehr als 4,03 m über dem mittleren Hochwasserstand am frühen Samstagmorgen. Eine zweite Flutwelle erreichte 2,46 m über mittlerem Hochwasser. An etlichen Orten brachen in der Nacht die Deiche, als das Wasser gegen zwei Uhr in der Nacht seine größte Höhe erreichte.
Allein in Hamburg waren über 300 Tote und rund 75.000 obdachlos gewordene Betroffene zu beklagen. Die Flut riß in den tiefergelegenen Wohngebieten, insbesondere entlag des alten Elbstromes, Häuser um, überraschte die Menschen im Schlaf und unterbrach die direkte Verbindung Hamburgs nach Süden. Viele Menschen wurden in den Stadtteilen Moorburg, Neuenfelde und Altenfelde vom Wasser eingeschlossen. Gaswerke und Kraftwerke wurden ebenso überspült, wie Umspannwerke und Industrieanlagen. Große Teile Hamburgs waren ohne Strom, Heizung und Straßenbeleuchtung. Darüber hinaus war auch das Fernsprechnetz zum großen Teil ausgefallen. Die Versorgung mit Trinkwasser war gefährdet.
Vorbereitungen im Hamburger Stadtgebiet
Als am Vormittag des 16. Februar erste Wettermeldungen ab dem Spätnachmittag vor Orkanböen bis Windstärke 10 – die sich in der Nacht bis auf 12 steigern sollten – warnten, wurde an alle Hamburger THW-Ortsverbände Voralarm gegeben. Gleichzeitig wurde veranlaßt, daß den Ortsverbänden Geräte- und Mannschaftskraftwagen aus den Beständen des Luftschutz-Bergungsdienstes zugeführt wurden. Dies war unüblich, da die Ausstattung des LSHD eigentlich nur im Kriegsfall einzusetzen war. Die Verbindung zum Einsatzstab des Kommandos der Schutzpolizei wurde aufgenommen.
Und bereits kurz nach 18 Uhr traten alle Ortsverbände in Aktion, entweder allein oder in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. In allen Stadtteilen versperrten umgestürzte Bäume, abgetragene Dächer die Straßen, Freileitungen wurden umgerissen. In den niedrig gelegenen Stadtteilen stand bereits das Wasser auf den Straßen; besonders betroffen waren Altenfelde, Noorburg und Neuenfelde. In der Innenstadt stand das Wasser bis zum Rathausmarkt.
Schon in den ersten Morgenstunden des 17. Februar meldete ein Ortsverband die Rettung von 25 Frauen und Kindern aus der Kolonie Overwerder. Die eingehenden Meldungen ließen erst allmählich den ganzen Umfang der über Hamburg hereingebrochenen Katastrophe abschätzen. Der Hamburger Senat bildete einen Sonderstab unter dem Innensenator (und späteren Bundeskanzler) Helmut Schmidt.
Im Laufe des Wochenendes standen in Hamburg rund 1.100 THW-Kräfte im Einsatz, darunter eine größere Anzahl aus den Landesverbänden Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Nach Abschluss der Rettung von Menschen aus höchster Gefahr kam als neue Aufgabe des THW die Versorgung der abgeschnittenen Bevölkerung mit Trinkwasser und Lebensmitteln hinzu. Die Aufgabe wurde in Zusammenarbeit mit Bundeswehr und Polizei gelöst. Von großem Nutzen waren dabei Trinkwasserbereitungsanlagen des THW aus Düsseldorf.
Die Lage an der schleswig-holsteinischen Küste
Als am Morgen des 16. Februar der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein seinen Landkreisen Voralarm gab und auch der THW-Landesverband I und dessen Ortsverbände in diesen Voralarm eingebunden wurden und im Laufe des Tages die Sturmböen im Kieler Hafen ein russisches Schiff beinahe zum Kentern brachten, ahnte noch niemand, welches Ausmaß die unberechenbaren Elemente für das gesamte norddeutsche Küstengebiet bringen würden.
Nach Eingang mehrerer OV-Meldungen über erfolgten Voralarm an das THW für verschiedene Landkreise wurde mit dem Landesinnenministerium die generelle Freigabe der Fahrzeuge des LSHD für den zu erwartenden Katastropheneinsatz abgesprochen. In den Landkreisen der Westküste traten die Katastrophen-Einsatzstäbe zusammen.
Ab 23 Uhr wurden mehrere Ortsverbände für den überörtlichen Einsatz an der Westküste alarmiert, darunter Flensburg, Rendsburg und Neumünster. Der erste Einsatz des THW für die Deichverteidigung erfolgte in Büsum, viele weitere folgten im Laufe der Nacht. Mit rasch herbeigeholten Omnibussen, LKW und Bundeswehrfahrzeugen wurden Frauen und Kinder evakuiert. Besonders betroffen waren die Städte Itzehoe, Elmshorn und Pinneberg, wo Geschäfts- und Wohnviertel, Bundesstraßen und große Fabriken unter Wasser standen und Häuser einzustürzen drohten. Pumpwerke der Kläranlagen mußten mit Sandsackwällen gesichert werden, Häuser wurden abgestützt und Keller leergepumpt. Das Material zum Bau von Abstützungen und Fachinen musste teils über weite Wege herangeführt werden.
Von den damals bestehenden 23 THW-Ortsverbänden des LV I waren 21 am Einsatz mit insgesamt 1.200 Helfern beteiligt, wovon zeitweise 750 Helfer gleichzeitig tätig waren.
Flut und Zerstörung in der Hansestadt Bremen
Im Stadtstaat Bremen wurden die ersten Einsätze bereits gegen 16 Uhr gemeldet. Der Ortsverband Vegesack war zur Beseitigung von Sturmschäden und Windbruch eingesetzt. Nach der Zunahme der Einsatzanforderungen wurden gegen 18 Uhr alle Bremer THW-Einsatzkräfte mittels Radiomeldungen alarmiert und in ihre OV einberufen.
Den Höchststand erreichte die Flut in Bremen gegen 2:30 Uhr am frühen Samstagmorgen. Dabei hatte man in Bremen noch Glück: Die Deiche hielten der starken Flut stand, obwohl sie mancherorts überspült wurden. Insgesamt waren über 400 THW-Helfer mit 20 Fahrzeugen im Einsatz. Mehr als 100 Menschen wurden durch das THW aus den Fluten gerettet; für acht Menschen kam jede Rettung zu spät.
Die Situation an der niedersächsischen Nordseeküste
Die Lage im THW-Landesverband Niedersachsen entwickelte sich ähnlich wie in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein.
Zwischen Harburg und Cuxhafen mühten sich die Helferinnen und Helfer im Bereich der Wesermündung den eindringenden Fluten Einhalt zu gebieten. Auch hier standen THW-Einsatzkräfte Schulter an Schulter mit Feuerwehrleuten und Soldaten der Bundeswehr.
Rund um Cuxhafen schlugen die THW-Helfer seeseitig Pfähle an ausgekolkten Deichen ein und sicherten diese mittels Sandsäcken und Faschinen.
Zusammenfassung
Neben Feuerwehr, den Hilfsorganisationen, dem Bundesluftschutzverband und in starkem Maße auch der Bundeswehr, kamen Einsatzkräfte des THW aus fünf Landesverbänden und der Schule Hoya zum Einsatz. In 237 Einzeleinsätzen wurden Deichsicherungsarbeiten sowie Bergungs- und Schadensbekämpfungsmaßnahmen unterschiedlichster Art durchgeführt. Insgesamt waren über 6.500 THW-Helferinnen und -Helfer im Einsatz. Damit handelt es sich um einen der größten Einsätze des THW.
Auch nach Ablaufen der Flut war für das THW noch genügend zu tun. Neben der Versorgung der Hamburger Bevölkerung galt es vielerorts Straßen und Wege wieder befahrbar zu machen. Zur Verhinderung von Infektionen unterstützte das THW außerdem bei der Bergung und Abtransport ertrunkener Tiere.
Im Rahmen der Auswertung der THW-Einsätze dokumentierte man, dass sowohl die Ausstattung der Helferinnen und Helfer mit geeigneter Regen- und Kälteschutzbekleidung nicht gegeben war, als auch, dass Anzahl und Beschaffenheit der THW-eigenen Fahrzeuge und Funkausstattung für Einsätze dieser Art keinesfalls ausreichten. In diesen Punkten wurde jedoch, unter anderem aufgrund der Situation im Bundeshaushalt, erst nach den schweren Hochwassern im Frühjahr 1971 Abhilfe geschaffen.
Quellen- und Bildnachweise:
Autor: Simon Herzog
Quellen: Jochen von Arnim, „Chronik des Technischen Hilfswerks“, 1990
„THW Schriftenreihe 1962“, THW-Leitung, Bildstelle (Hrsg.)
Monatszeitschrift „Das Technische Hilfswerk“, Ausgabe 3/1962
Jochen von Arnim, Zeitschrift „Technisches Hilfswerk“, Ausgabe 1/1997 THW historische Sammlung (THWhS)
Bilder: „THW Schriftenreihe 1962“, THW-Leitung, Bildstelle (Hrsg.)
THW historische Sammlung